Unsere Chronik

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges mit all seinen Schrecken und Veränderungen waren die Menschen glücklich und schätzten die Freiheit, ihr Leben mutig nach eigenen Vorstellungen gestalten und auch genießen zu können. Hierzu zählte natürlich auch der Sport, der die Möglichkeit zur Erholung und Entspannung nach den Jahren der Not und des Elends bot. So wurden viele Sportvereine neu gegründet oder neu belebt. Auch der Zuzug von Vertriebenen und Flüchtlingen belebte den Aufbau von Vereinen und die Förderung einzelner Sportarten. Insbesondere wurde der Fußballsport zum Magneten für viele begeisterte Sportfreunde.

Auch in Andervenne fühlte man sich ermutigt, einen Anlauf zur Gründung eines Fußball-Sportvereins zu unternehmen. Mit Unterstützung des damaligen Pfarrers Joh. Finder kam es am 24. Februar 1947 im Gasthaus Rolfes zur Gründung des Sportvereins Heidekraut Andervenne. Das Gründungsprotokoll gibt über die genaueren Umstände Auskunft:

„Am Sonntag, den 22. Februar 1947 gab Hochw. Herr Pastor Finder, Pfarrer in Andervenne, in den Gottesdiensten von der Kanzel bekannt, dass am Dienstag, den 24. Februar 1947 um 17.00 Uhr nachmittags im Gasthaus Rolfes eine Gründungsversammlung des neuen Sportvereines statt finden solle. Der Saal war bis auf den letzten Platz von den Sportinteressenten aus Andervenne besetzt. Herr Pfarrer Finder eröffnete die Versammlung mit einer kurzen Ansprache, die geleitet war von dem Gedanken der Zusammengehörigkeit unserer Pfarrjugend, die durch auswärtige Sportvereine nicht zersplittert werden dürfe. Hochw. Pater Dülmer hielt einen längeren Vortrag über Lokalpatriotismus und über die Sportinteressen.“

 

Der Bürgermeister von Andervenne-Oberdorf, Josef Ull, stellte kostenlos eine mit Heidekraut durchzogene Waldfläche für die Herrichtung eines Sportplatzes zur Verfügung. Daher rührt wohl auch der Vereinsname Heidekraut. Beide Ortsbürgermeister (Oberdorf und Niederdorf) versprachen zudem, sich jederzeit für die Belange des Sportvereins einzusetzen.

Für die Aufgaben im Vorstand fanden sich folgende Herren bereit:
1. Vorsitzender Heinrich Uthmann-Böming; Schriftführer August Burrichter; Rechnungsführer Josef Dülmer; Sportwart Karl Fahlbusch; Jugendwart Heinrich Thy. Ihre Stellvertreter waren Leo Böming, Josef Fahlbusch, Bernhard Heller und Walter Stock.

Am 4. März 1947 fand dann die erste offizielle Versammlung im Saale Schmees statt. Hier wurden ca. 50 Mitglieder des Vereins registriert. Auch die neue Satzung wurde diskutiert und genehmigt.

In den Spielerausschuss des Vereins wurden gewählt:
August Leugers (Mannschaftsführer 1. Mannschaft); Heinrich Middendorp (Mannschaftsführer 2. Mannschaft; Gregor Mey (Mannschaftsführer 1. Jugend). In den erweiterten Ausschuss wurden Franz Ull, Alfons Wagemester, Heinrich Giesen und Leo Merse gewählt.

Selbstverständlich gab sich der Sportverein Heidekraut Andervenne ebenfalls eine Satzung; hieraus einige heutzutage amüsant wirkende Passagen, die nicht zuletzt die hohe Stellung der Kirche zu dieser Zeit verdeutlichen: – Sinn und Zweck des Vereines ist die gemeinschaftliche körperliche Ertüchtigung der Gemeindejugend. – Besondere Gründe des Ausschlusses sind: Unehrlichkeit, Fahrlässigkeit, Quertreiberei, Unpünktlichkeit, schlechtes Benehmen und unerlaubtes Mitspielen in anderen Vereinen. – Die religiösen Belange der Jugend werden durch den Vorstand mit dem Herrn Pfarrer geregelt. – Die Spieler haben sich vom Sportausschuss ohne zu murren eingliedern zu lassen; hierbei wird strengste Disziplin verlangt. – Die Auflösung des Vereines kann nur von allen Mitgliedern mit wenigstens Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit vollzogen werden. Das vorhandene Kapital und die Wertgegenstände werden in diesem Falle dem Herrn Ortspfarrer zur Verfügung gestellt.

Wie aus den Protokollen von damals ebenfalls ersichtlich wird, wurde der Spielbetrieb in den nachfolgenden Jahren unter recht abenteuerlichen Bedingungen aufgenommen. Der Zustand des Platzes war, gemessen an heutigen Verhältnissen, katastrophal; die „Hundefroten“ ließen ein gepflegtes Passspiel kaum zu. Umkleidemöglichkeiten am Andervenner Platz gab es offiziell „bei einem Bauern 200 mtr. vom Sportplatz“; sie wurden aber nur selten benutzt. Spiel- und Trainingsbälle waren rar und von schlechter Qualität. Nach Aussagen damaliger Spieler wurden sogar Bälle aus dem Ruhrgebiet „geschmuggelt“; ging einem Ball die Luft aus, wurde er in der Halbzeitpause fachmännisch geflickt. Die Spielerausrüstung war dürftig: Statt Schienbeinschützern steckte man sich Pappe hinter die Stutzen; als Stollenersatz konnten da auch schon mal Nägel zum Einsatz kommen! Diese und ein robuster Einsatz führten nicht selten zu Verletzungen. Weil Autos noch selten waren, stellte die Anreise zu Auswärtsspielen besondere Herausforderungen. Waren die Entfernungen nicht allzu weit, benutzte man – soweit vorhanden – Fahrräder. Bei längeren Distanzen allerdings trat man die Fahrten auf meist offenen LKW mit Holzvergaser (von Ratger oder Sasse) an; gelegentliche Stopps, etwa in den Baccumer Tannen, wurden dann eifrig zum Austreten sowie zur Brennholz-Beschaffung genutzt, um die Weiterreise zu sichern. Unvergesslich sind den heutigen Veteranen auch die Fahrten mit Uthmanns Werner, dessen Fahrzeug auf „niegen Reifen“ lief!

Die spielerische Leistung war auf Grund fehlender gründlicher Ausbildung meist durchwachsen und auch Fairness war für manchen Spieler noch ein Fremdwort. Selbst die Kommunikation zwischen Vereinen und Kreissportbund einerseits und der Vereine untereinander andererseits war schwerfällig. Rivalitäten zwischen den Vereinen waren gang und gäbe. Die Schiedsrichter waren häufig einfach überfordert und nicht selten selber Ziel von Attacken durch Spieler oder Zuschauer. Kam man als Spieler den gegnerischen Fans zu nahe, konnte man durchaus schon mal schmerzhafte Bekanntschaft mit dem Handstock machen! Dennoch war man in Andervenne glücklich und stolz, auch einen Fußball-Verein zu haben, denn nun mischte man mit im Kreis der neu geschaffenen Fußball-Ligen. Dass dabei sicherlich mehr der Kampfgedanke überwog als technische und konditionelle Fertigkei-ten, ist wohl verständlich und wird auch durch Urteile des Sportgerichts bezeugt.

Bis in das Jahr 1952 ist die Geschichte des Sportvereins belegt; dann erfolgte seine Auflösung. Wenngleich dafür keine genauen Gründe bekannt sind, so dürfte u.a. wohl die Nähe größerer, damit attraktiverer Vereine eine Ursache dafür gewesen sein. Außerdem schieden einige Leistungsträger aus Altersgründen, durch Wegzug oder aufgrund von Verletzungen aus, so dass der ordentliche Spielbetrieb weder zahlen- noch leistungsmäßig aufrecht erhalten werden konnte. Es bleibt aber letztlich das positive Fazit, dass sich vor ca. 65 Jahren unter schwierigen Bedingungen Sportinteressierte zusammenfanden, die mit viel Idealismus und Einsatz den Sportverein Heidekraut Andervenne aus der Taufe hoben und ihn gemeinsam einige Jahre lang mit Leben erfüllten. Neben den sportlichen Erfolgen und Niederlagen war es gerade auch die erlebte Kameradschaft und Geselligkeit, die die Sportler hier suchten und auch fanden. So ist auch die Aussage eines Fußballers „der ersten Stunde“ verständlich, der seine Erinnerungen so zusammenfasste:
„Et wör ´ne schöne Tied un et göng immer wieder Baig up!“.

Vereinslied des Sportvereins „Heidekraut“
(Anton Heller)